Ohne Angst und schlechtes Gewissen
JA, es muss weitergehen
Jubelnde, kreischende Fans. Zigtausende ausgelassene begeisterte „Swifties“ feierten ihre Taylor noch vor wenigen Tagen in Gelsenkirchen, Hamburg und um das Münchner Olympiastadion, die Medien überschlugen sich mit Lobeshymnen, der Megastar rockte die Bühne und das Publikum. „Danke, dass ihr mit uns abhängt“, feierte der Megastar die Stimmung bei gut 30 Grad. „Wir sind happy“, erklärte Polizei-Sprecher Tobias Schenk, der auch am zweiten Tag im Olympiapark über die Fan-Massen mitwachte. „Alle sind friedlich, alle sind ruhig, nichts ist vorgefallen“, berichtete er der „Süddeutschen Zeitung“.
Gut eine Woche später. Mitten in Wien. Auch hier freuten sich die „Swifties“ auf drei ausverkaufte Konzerte im Ernst-Happel-Stadion. Auf bunte Shows, Welthits und ein paar Stunden heile Welt. Doch dieser Traum wurde jäh zerstört. Von (mindestens) zwei radikalen, assozialen, menschenverachtenden Jugendlichen mit IS-Gesinnung, 17 und 19 Jahre alt. Das Duo wollte ein Blutbad anrichten, bastelte Bomben und besorgte sich Messer, um möglichst viele Ungläubige zu töten.
Es Schorschla betrachtet den Hype um Taylor Swift eigentlich emotionslos mit viel Abstand, da die Musik und die ganzen Geschichten aus dem noch jungen Leben der 34-Jährigen ihn im Grunde nur wenig bis gar nicht interessieren. Aber die Konzertabsagen von Wien sind ohne Zweifel ein neues, dunkles Kapitel der internationalen Musikgeschichte. Was aber nicht heißen soll, dass man diese Shows hätte standfinden lassen müssen.
Die Welt blickt derzeit ja nach Paris. Hier wurden die Sicherheitsmaßnahmen auf die Spitze des aktuell möglichen hochskaliert, friedliche Spiele sollten ein positives Zeichen in die Welt setzen. Was aktuell, stand Freitag, 09.08., auch gelungen ist. Aber eines ist auch klar: Es gibt keine friedliche Welt mehr, egal, welche Bilder die Fernsehsender uns auch in unsere Wohnzimmer liefern. Hass und Häme werden zelebriert, wo immer Menschen heutzutage ausgelassen feiern, besteht die Gefahr, dass Terroristen und Unmenschen „ein Zeichen setzen möchten“. Toleranz wird zum Fremdwort, ein „Krieg der Kulturen“ ist von nicht wenigen durchaus erwünscht.
Wobei sich Konzerte mit vielen Besucherinnen und Besuchern inzwischen als Anschlagsziele herauskristallisiert haben. Moskau, 2024, Crocus-City-Hall, 140 Tote; Israel, 2023, „Supernova“-Festival nahe dem Gazastreifen, 360 Menschen und zahlreiche Geiseln, der Überfall auf Israel löste den Krieg im Gazastreifen aus; Las Vegas, 2017, über 50 Menschen starben und Hunderte Verletzte; Manchester, 2017, Bombenanschlag, 22 Tote; Paris, 2015, Bataclan-Theater, 130 Tote, davon 90 Besucher eines Konzerts der US-Rockband Eagles of Death Metal.
“This is why we can’t have nice things“, posten Taylor-Swift-Fans nach der Absage der drei Wien-Konzerte. Es ist ein Songtitel der Künstlerin aus dem Album “Reputation”.
Londons Bürgermeister Sadiq Khan möchte die von 15. bis 20. August im Wembley Stadion geplanten Konzerte von US-Superstar Taylor Swift auf jeden Fall stattfinden lassen. „Wir sind eine Hauptstadt, wir sind eine internationale Stadt, wir sind regelmäßig Gastgeber für Großveranstaltungen“, sagte er dem Fernsehsender Sky News auf die Frage, ob die Ereignisse in Wien die Pläne änderten. Und weiter: „Wir freuen uns darauf, Taylor Swift wieder zu begrüßen.“
JA, es muss weitergehen. Und JA, wir dürfen uns nicht unsere oft mühsam und über Jahrzehnte errungenen gesellschaftlichen Werte von radikalen Gangstern, Banden oder Regimen zerstören lassen. Es kann auch nicht darum gehen, was eine Frau Swift auf der Bühne trägt oder nicht trägt und ob sich davon irgendwer provoziert fühlen könnte. NEIN, so ist unsere Kultur. Wem’s gefällt: Karten und Fan-Shirts kaufen und hingehen. Wem’s nicht gefällt: Auf zum Bierkeller und eine Brotzeit mit Bier genießen. Ohne Angst und schlechtes Gewissen. Einfach weil’s Spaß macht. Und weil wir das können und dürfen. Ist ja selbstverständlich, werden Sie sagen. Ja, aber leider nicht überall auf unserem Globus. Und vielleicht liegt genau da das Problem dieser vermeintlichen „Weltgemeinschaft“, die es leider niemals geben wird.