Sonnenfinsternis und Wahlkampf
Bitte nicht blind wählen gehen …
Fast 25 Jahre ist es schon wieder her, dass es in Deutschland am helllichten Tage richtig dunkel wurde. Am 11. August 1999 schob sich der Mond für gut zwei Minuten komplett über die Sonne, das Volk jubelte, der Anblick war atemberaubend und unvergesslich.
Millionen Menschen in Nordamerika durften sich nun am Montag an einer totalen Sonnenfinsternis erfreuen. Der Mondschatten tauchte die Westküste Mexikos um 11.07 Uhr Ortszeit (20.07 Uhr MESZ) in totale Dunkelheit und wanderte von dort innerhalb von anderthalb Stunden weiter über 15 Bundesstaaten der USA in Richtung Kanada. Festivals, Partys und sogar Massenhochzeiten fanden entlang der Strecke statt, an der es jeweils einige Minuten lang dunkel wurde.
Dieses seltene Naturschauspiel setzt immer wieder pure Emotionen frei. Die Menschen hätten „geschrien, sie applaudierten, einige machten Fotos, andere küssten sich“, war zu hören. Selbst der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador, der das astronomische Phänomen vom Badeort Mazatlán am Pazifik aus beobachtete, sprach von einem „sehr schönen, unvergesslichen Tag“.
Die Euphorie ging sogar so weit, dass sechs Insassen eines Gefängnisses im US-Bundesstaat New York die staatliche Justizbehörde verklagten, um diese totale Sonnenfinsternis live und mit eigenen Augen sehen zu können. Die Anordnung, während des Ereignisses in ihrer Zelle bleiben zu müssen, verletze ihr Grundrecht, ihren Glauben auszuleben, heißt es in der Klage. Bei der Sonnenfinsternis handle es sich demnach um ein „religiös bedeutsames Ereignis“, an dem sie teilhaben wollen.
Finden Sie übertrieben?
Nicht aber in Amerika. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo streng Gläubige Evangelikale im ehemaligen – und vielleicht auch zukünftigen – Präsidenten Donald Trump den „Gesalbten Gottes“ sehen. Und der spielt dieses Spiel gerne mit. „Ich bin der Auserwählte“, erklärte er jüngst bei einer Pressekonferenz im Zusammenhang mit seiner China-Politik. Er habe doch nur einen Witz gemacht, erklärte Trump später. Doch für viele seiner Anhänger scheint diese Vorstellung gar nicht so abwegig: In einer aktuellen Umfrage des Politologen Paul Djupe von der Denison University in Ohio, der sich auf das Zusammenspiel von Religion und Politik spezialisiert hat, stimmen erstaunlich viele Kirchgänger der Aussage zu, Trump sei „der von Gott Gesalbte“. Je häufiger die Probanden die Kirche besuchen, desto größer ihre Neigung, die Aussage zu unterstützen. Völlig irre, meint sicher nicht nur es Schorschla.
Das wunderbare Naturschauspiel vom Montag wurde in den USA zum Wahlkampfthema hochstilisiert. Verschwörungstheorien machten schnell die Runde. Auf Webseiten wie „American Wake Up Call“ wurde die Sonnenfinsternis etwa als Weckruf beschworen, wonach die USA noch eine zweite Chance bekämen, wenn sich nur genügend Menschen angesichts dieses Ereignisses zusammenfänden, um gemeinsam zu beten. Sie meinen, so blöd könne man doch gar nicht sein? Da irren Sie sich aber gewaltig. Bestes Beispiel: Der Rapper „Joey Bada$$“ freute sich medienwirksam seit Tagen über den „Tag X“, wollte beim Blick in die Sonne aber auf einen Augenschutz verzichten. „Unsere Vorfahren hatten auch keine schicken Brillen“. Nun musste der 22-Jährige drei geplante Konzerte absagen – wegen „unvorhergesehener Umstände“, erklärte sein Management. Da hilft wirklich nur beten …
PS: Die Meinung vom Schorschla muss nicht immer mit der der Redaktion übereinstimmen.