Oscar in Sachen Selbstmitleid
„Goldener Jammerlauch“ für Camila Cabello
Was sich aktuell auf unserem Globus abspielt, ist im Grunde unvorstellbar. Da werden Zivilisten brutal niedergemetzelt, Familien mit Kindern aus ihren Häusern gebombt, Städte in Schutt und Asche gelegt, Atomkraftwerke mit Raketen beschossen. Gerade einmal 1500 Kilometer von Bamberg entfernt sorgt ein unfassbarer Krieg für grenzenloses Leid, die Bilder aus Butscha oder Mariupol machen uns alle sprachlos.
Trotzdem geht das ganz normale Leben – sofern es dieses aktuell überhaupt noch gibt – natürlich weiter. An den täglichen Brenn- punkt im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen haben wir uns längst gewöhnt, die Filme im Ersten beginnen eben um 20.30 Uhr statt um 20.15 Uhr: Zwei Jahre wegen Corona, jetzt eben wegen russischer Raketen. Die Bilder und Kommentare lassen uns abstumpfen. Vielleicht ist es ein Selbstschutz, eine nicht in Worte zu fassende Melange aus Wut, Hilflosigkeit, Mitgefühl und Trauer. Was es Schorschla aber vor diesem Hintergrund schier wahnsinnig macht, ist die Unzufriedenheit in unserem Land. Da wird gejammert auf einem Niveau, welches schon beim Zuhören schmerzt. Die Spritpreise. Die Masken. Die neuen Homeoffice-Regeln. Das Wetter. Die Untere Brücke. Die Nachbarn. Das Rathaus. Die Lastenfahrrad-Parkplätze. Der schreckliche Kaffee im Büro. Sie merken es: Es gibt unzählige Gründe, sich zu beschweren. Jammern auf hohem bis höchstem Niveau. Vielleicht sollte man sich aktuell dabei etwas zurücknehmen, passt irgendwie nicht ganz so in die Zeit.
Es Schorschla hat in diesem Zusammenhang eine Titelanwärterin für den „Goldenen Jammerlauch“, den Oscar in Sachen Selbstmitleid entdeckt: Karla Camila Cabello Estrabao. Die 1997 in Havanna geborene Songwriterin und Schauspielerin wandte sich am Wochenende nach einem Besuch an Miamis South Beach mental hochgradig zerstört an ihre Fans. Die genauen Gründe schildert die Schönheit ihren auf Instagram. Aus Angst vor unvorteilhaften Paparazzi-Fotos konnte Cabello sich nämlich nicht richtig entspannen. „Ich konnte nicht loslassen und das tun, was man eigentlich tun sollte, wenn man raus in die Natur geht“, schreibt die 25-Jährige. Aus Angst, dass im Internet unvorteilhafte Fotos von ihr verbreitet und auf verletzende Weise kommentiert werden, habe sie ständig ihren Bauch eingezogen und die Luft angehalten. „Ich hatte nie eine schlimmere Zeit am Strand“, so Cabello wörtlich. Und weiter: Sie fühle die Leere und Traurigkeit über die Gedanken der Gesellschaft in Bezug auf Schönheitsideale, welche zu ihren eigenen Gedanken geworden seien. Sie habe Kindern zugesehen, die unbekümmert in den Wellen gespielt hätten – und sich gewünscht, selbst wieder die Einstellung wie als Siebenjährige zu ihrem eigenen Körper zu haben, träumt Cabello. Bis dahin würde es Schorschla das Ganze ja noch als postpubertäres C-Promi-Geäffel abhaken. Doch die Reaktionen auf die poetischen Zeilen verschlagen dann auch dem Schreiber dieser Zeilen die Sprache. Cabellos Post erhielt mehr als eine Million Likes. Die Schauspielerinnen Lily Collins und Bella Thorne drückten Mitgefühl und Zustimmung aus und Reality-Star und Hoteler bin Paris Hilton setzte diesem rührenden Beachbekenntnis die rhetorische Krone auf: Ja, der Beitrag habe sie zum Weinen gebracht, so Paris und fügt noch an: „So wichtig, dass Menschen das hören.“ Ja, jeder hat eben seine ganz persönlichen Probleme. Auch anno 2022!
PS: Die Meinung vom Schorschla muss nicht immer mit der der Redaktion übereinstimmen.