Das schwärzeste Schwarz der Welt
Wie schaut’s bei Ihnen aus, wenn Sie sich Gedanken um die Zukunft machen? Gehören Sie eher zum optimistischen Teil unserer Gesellschaft, zur – nennen wir es hier einmal die Rosa-Rot-Fraktion? Dann herzlichen Glückwunsch. Oder sehen Sie eher Schwarz, wenn es um Morgen und die Tage danach geht? Kann man in der aktuellen Situation sicher auch verstehen!
Was Sie aber auf jeden Fall verhindern sollten, ist das Leben „Vanta-Schwarz“ zu sehen. Das ist nämlich das schwärzeste Schwarz der Welt. So schwarz, dass es schwärzer aktuell gar nicht mehr geht.
Nachtschwarz, tintenschwarz, rabenschwarz, pechschwarz, kohlschwarz: Es gibt viele Steigerungen und Klassifizierungen der dunkelsten aller Farben. Richtig schwarz ist aber nur „Vanta“. Diese aufwendig hergestellte Farbe ist ein physikalisches Phänomen. Sie ist so dunkel, dass sie nahezu das gesamte auftreffende Licht verschluckt und dadurch alles Dreidimensionale verschwinden lässt. Gegenstände, die mit Vanta-Schwarz überzogen sind, wirken wie ausgeschnitten aus der Wirklichkeit, eine lichtlose Leerstelle. Um es zu veranschaulichen und auch der Allgemeinheit sichtbar zu machen, haben Wissenschaftler nun keine Kosten und Mühen gescheut und erstmals ein Auto – genauer gesagt ein X6 von BMW – mit diesem Material beschichtet. Der Effekt: Konturen, Linien, Wölbungen, Kanten – alles verschwindet.
Was kein Zufall ist, denn genau zu diesem Zweck wurde Vanta-Schwarz überhaupt entwickelt: um unerwünschte Lichteffekte, Reflexionen, Schattierungen zu eliminieren. Teleskope, mit denen Wissenschaftler sehr schwache Lichtsignale aus weit entfernten Galaxien beobachten wollen, sind deswegen auf der Innenseite damit beschichtet. Militärs tarnen Waffensysteme mit dem Lack. Mit einer Beschichtung aus Vanta-Schwarz wird das auftreffende Licht absorbiert, Spionagesatelliten erkennen dann nur schwarze Löcher, aber nicht, was sich tatsächlich dort verbirgt.
Die Anwendung der Hightech-Farbe auf dem SUV bietet einen irritierenden Anblick: Sämtliche Konturen verschwinden, die Karosserie erscheint nicht mehr drei-, sondern nur noch zweidimensional. Selbst die Fugen erscheinen unsichtbar. Man könnte auch sagen: Die Arbeit der Designer war für die Katz’. Denn all die „muskulösen“ Blechbeulen und „skulpturalen Wölbungen“, von denen Autogestalter normalerweise schwadronieren, werden mit Vanta-Schwarz unsichtbar.
Das Patent für Vanta-Schwarz besitzt übrigens die britische Firma Surrey Nano-Systems in Newhaven. Vanta ist dabei ein Akronym für „Vertically Aligned Nanotube Array“ (vertikal angeordnete Nanoröhrchen). Im Grunde ist der Name eine Art Bauplan für das Superschwarz. Salopp gesagt handelt es sich bei Vanta-Schwarz um einen Wald aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen, auf einem Quadratzentimeter befinden sich rund eine Milliarde solcher Röhrchen.
Fällt Licht in ein solches Kohlenstoff-Dickicht, findet es nicht mehr heraus. Es wird in und zwischen den Nanoröhrchen reflektiert, gefangen und geschluckt. Exakt sind es 99,96 Prozent des auftreffenden Lichts, die von dieser mikroskopisch kleinen Struktur absorbiert werden. Es gibt also so gut wie keine Reflexion. Man blickt auf ein schwarzes Loch.
Die Metapher mit dem schwarzen Loch hat übrigens auch den indisch-britischen Künstler Anish Kapoor inspiriert. Kapoor beschichte ein 2,40 Meter tiefes Loch mit Vanta-Schwarz. Als das Objekt im vergangenen Jahr im Serralves Museum im portugiesischen Porto gezeigt wurde, stürzte ein Ausstellungsbesucher hinein und verletzte sich. Er hatte das Loch für einen schwarzen Fleck auf dem Betonfußboden gehalten. Auch hier unterdrückte das Vanta-Schwarz jegliche Reflexionen. Dass es sich tatsächlich um ein Loch handelte, war zwar auf etlichen Hinweistafeln angeschrieben. Und diese waren nicht in Vanta-Schwarz notiert. Was das Museum letztendlich vor hohen Schadenersatzzahlungen rettete.