Selbsternannte Sprachjury macht sprachlos
„Oberindianer“ klingt nach
Kennen Sie den „Chattanooga Choo Choo“. Diesen weltbekannten Swing-Titel von Mack Gordon (Text) und Harry Warren (Musik). Glenn Millers Aufnahme des Songs aus dem Jahr 1941 war neun Wochen die Nummer eins in den Billboard Hot 100 und insgesamt 23 Wochen in den Top 10. Angeblich schrieb das Autorenteam den Titel während einer Fahrt mit dem Birmingham-Special-Zug der Southern Railway, damals war Chattanooga ein wichtiger Knotenpunkt im Netz der US-Eisenbahnen.
Soweit. So gut. Unzählige Male wurde dieser Welthit gecovert. Auch in Deutschland. Wobei die Version von Udo Lindenberg sicherlich den höchsten Bekanntheitswert genießt. Der Rockstar mit dem Schlapphut machte aus dem „Chattanooga Choo Choo“ einen „Sonderzug nach Pankow“ und prangerte 1983 zu Zeiten des kalten Krieges die Tatsache an, dass er mit seinem Panikorchester nicht in Ostberlin auftreten durfte.
SED-Generalsekretär Erich Honecker war damals wenig begeistert von dieser musikalischen Provokation, was aber dem Erfolg dieser Hymne keinen Abbruch tat. Ganz im Gegenteil: Am 2. Februar 1983 wurde die von Lindenberg selbstproduzierte Single in der damaligen Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht und gelangte am 7. Februar 1983 in die Hitparade, wo sie Platz fünf erreichte und dort für vier Wochen blieb. Es war Lindenbergs bis dahin beste Hitparadennotierung. In einem Begleitbrief zum Song hatte Lindenberg am 16. Februar 1983 an Honecker geschrieben: „Lass doch nun auch mal einen echten deutschen Klartext-Rocker in der DDR rocken. Zeig Dich doch mal von Deiner locker-menschlichen und flexiblen Seite, zeig uns Deinen Humor und Deine Souveränität und laß die Nachtigall von Billerbeck ihre Zauberstimme erheben. Sieh das alles nicht so eng und verkniffen, Genosse Honey, und gib dein Okey für meine DDR-Tournee“. Soviel zur Historie der West-Ost-Kultsongs.
Seit vergangener Woche sorgt dieses Lied mehr als 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung erneut für Irritationen. Wie die Stiftung Humboldt Forum in Berlin mitteilte, sollen Chöre beim Singen des Lindenberg-Hits das Wort „Oberindianer“ weglassen. Es könne aus heutiger Sicht diskriminierend wahrgenommen werden, hieß es zur Begründung. Anlass für den Eingriff ins historische Liedgut sind zwei geplante Auftritte im November von acht Chören in dem Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildung in Berlin. Es Schorschla zitiert aus der offiziellen Begründung: „Auch wenn das Wort in dem Lied Sonderzug nach Pankow in seiner Entstehungszeit 1983 eine metaphorische Konnotation hatte – und es sich damals satirisch-kritisch auf Erich Honecker bezog – sind wir uns auch bewusst, dass in dem Wort die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen nachklingt“, teilt die Stiftung mit. Das Wort werde von vielen indigenen Menschen und von vielen Besuchern als diskriminierend und rassistisch wahrgenommen.
Die Idee der selbsternannten Sprachjury macht es Schorschla nahezu sprachlos: „Mit den Chören abgestimmt und derzeit geplant ist, „OberI*******“ zu singen, wobei das i gehalten werden soll. Wir sind hier aber noch in der weiteren Abstimmung“, erklärt ein Sprecher der Stiftung Humboldt Forum.
Übrigens: Am 25. Oktober 1983 kam es zum ersten und bis zur Wende einzigen Auftritt von Udo Lindenberg in der DDR. Dieser fand im Rahmen des Festivals Rock für den Frieden vor 4200 Zuhörern im Palast der Republik statt, bei dem Lindenberg den Titel „Sonderzug nach Pankow“ auf Wunsch der DDR-Führung nicht sang. Zu einer von Lindenberg für das folgende Jahr vorgesehenen Tournee durch die DDR kam es nicht; die Gastspielreise wurde im Februar 1984 endgültig abgesagt.