Mal die Statistik hinterfragt
Länger Arbeiten kann auch Spaß machen
Jetzt auch noch das: Wir fleißigen Deutschen sind gar nicht so fleißig, wie wir Deutschen denken. Klingt kompliziert, ist aber leicht zu erklären: Forscher aus Bayern wollen erkannt haben, dass in anderen Ländern bis zur Rente viel mehr Arbeitsstunden geleistet werden als bei uns. In der EU wird nur in Luxemburg weniger Lebensarbeitszeit geleistet. Sagt das Münchner Roman Herzog Institut. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland verbringen laut aktueller wissenschaftlicher Studie im Laufe ihres Lebens im Schnitt geschätzte 52.662 Stunden „at work“. In den 27 EU-Ländern dagegen liege der Schnitt bei 57.342 Stunden, Spitzenreiter ist Estland mit geschätzten 71.331 Stunden.
Der erste Blick vom Schorschla bei solchen Veröffentlichungen ist immer der nach dem Auftraggeber. Das Roman Herzog Institut ist die Denkfabrik der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und der Metallarbeitgeberverbände im Freistaat. Anlass der Studie waren die Diskussionen um Fachkräftemangel, Viertagewoche und die Erhöhung des Rentenalters. Die Autoren zogen für die Berechnungen Daten der OECD und der EU-Statistikbehörde Eurostat heran.
Soweit zur Theorie. Wie aber sieht die Praxis aus? Bei der Betrachtung der Jahrzehnte, die ein Mensch durchschnittlich im Arbeitsleben verbringt, liegt Deutschland mit 39,3 Jahren im oberen Drittel. Am längsten arbeiten Isländer mit 45,4 Jahren, am wenigsten Rumänien mit lediglich 31,5 Jahren – im EU-Schnitt sind es 36,5 Jahre.
In Deutschland sei ein überdurchschnittlich hoher Anteil von 77,3 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter tatsächlich werktätig, im Schnitt der EU-27 sind es 70,3 Prozent. Aber: Die jährliche Arbeitszeit in Deutschland mit geschätzt 1340 Stunden sei sehr niedrig, was die niedrige Gesamtstundenzahl eines ganzen Arbeitslebens erklärt.
Dem Schorschla kommen an diesem Punkt große Zweifel: Gibt es überhaupt statistische Werte, die man so einfach gegenüberstellen kann? „Nein!“, sagt nicht irgendwer, sondern die Autoren der Studie selbst. Sie verweisen im hinteren Teil der Pressemeldung darauf, dass die Daten aus den einzelnen Ländern wegen Unterschieden bei der statistischen Erhebung eingeschränkt vergleichbar sind und es sich daher nur um Schätzwerte handelt. Zudem könne man die Produktivität der Arbeitenden kaum statistisch erfassen.
Wozu dann der ganze Aufwand? Ganz einfach. Es Schorschla zitiert: „Ebenso wie viele Ökonomen plädieren die Autoren der Studie angesichts von Fachkräftemangel und finanzieller Belastung der Rentenkasse für eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters über die 67 Jahre hinaus, die ab 2031 gelten soll“.
Dieser Satz erfüllt die Mission, die wohl schon von Anfang an feststand. „Macht den Deutschen bitte ein bisschen Lust auf das Arbeiten im Alter und bereitete Sie schonend darauf vor, dass ihre Rente eh nicht genügen wird“, mutmaßt es Schorschla. Und tatsächlich. Einige Sätze weiter steht zu lesen. „Daneben empfehlen sie (also das von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft finanzierte Roman Herzog Institut, Anm. vom Schorschla) der Bundesregierung, mehr Anreize für freiwilliges Arbeiten im Rentenalter zu setzen – selbst wenn es nur um Teilzeit geht“. Die sogenannten „silver worker“ könnten so den Fachkräftemangel zumindest teilweise ausgleichen.
Die Studie schließt natürlich mit einem positiven Ausblick. In mehreren Ländern mit hohen Lebensarbeitszeiten – etwa in der Schweiz – sei die Lebenszufriedenheit nach Umfragen sehr hoch. „Länger und mehr arbeiten muss nicht zu einer schlechteren Work-Life-Balance und geringerer Lebenszufriedenheit führen“, erklärt RHI-Vorstandsvorsitzender Randolf Rodenstock. „Der Wunsch vieler Menschen, weniger zu arbeiten und früher in Rente zu gehen, passt nicht in die Zeit des demografischen Wandels.“ Punkt. Mission erfüllt. Deutschland zählt auf Euch, Ihr „silver worker“. Und denkt immer dran: Arbeit kann so glücklich machen!