Wer fährt Rad?
Intelligenter radeln
„Der fährt ja wie ein Idiot“. Wie oft hat sich es Schorschla das schon gedacht. Wobei sich es Schorschla nach eigener Einschätzung eher zu den entspannten und ausgeglichenen Fahrzeuglenkern zählen würde. Das triste Wochenendwetter gab Anlass zur ausgedehnten Bettlektüre samt ziellosem Stöbern im Internet. Wobei es Schorschla wie im Blitz getroffen in den allseits bekannten „Hallo-wach“-Modus wechselte, als folgende Überschrift vom Tablet leuchtete. „Menschen mit Abitur fahren häufiger Rad“.
Die Kernaussage des Artikels: Wenn es um die Wahl des Verkehrsmittels geht, zeigen sich angeblich deutliche Bildungsunterschiede. Ja, wer Abitur hat, fährt öfter Rad als Menschen mit niedrigeren Abschlüssen.
Der Soziologe Ansgar Hudde von der Universität Köln hat über Jahre die Fortbewegungsmittel der Bevölkerung in Deutschland genau analysiert und jetzt zwei Studien in Fachmagazinen veröffentlicht. Grundlage für seine Auswertungen sind repräsentative Daten aus dem deutschen Mobilitätspanel für die Jahre 1996 bis 2018 und aus der Studie „Mobilität in Deutschland 2017“ des Bundesverkehrsministeriums. In diesen Datensätzen werden alle Wege von mehr als 55.000 Befragten aufgeführt und die Verkehrsmittel, die sie dafür genutzt haben. Insgesamt geht es dabei um etwa 800.000 Wegstrecken.
An dieser Stelle wird es interessant: Um zu überprüfen, ob der Zusammenhang zwischen Bildung und Fahrradfahren möglicherweise nur eine Scheinkorrelation sei, hat Hudde Hintergrundinformationen zu den Befragten in die Analysen mit eingeschlossen. Ansgar Hudde erklärt. „Wer im Schichtdienst ist, fährt vielleicht nur deshalb seltener mit dem Fahrrad, weil das nachts zu ungemütlich ist. Aber auch wenn ich solche Faktoren wie zum Beispiel Weglänge, Alter, Einkommen und Wohnort statistisch berücksichtige, bleibt der Bildungsunterschied bestehen.“
Die Zeiten ändern sich. Auch in Sachen Fahrrad- und Autofahren und der individuell hinterlegten Hirnkapazität. 1996 seien die unterschiedlichen Bildungsgruppen bei der Fahrradnutzung noch nah beieinander gewesen, so Hudde. Doch seitdem hätten sich beide Gruppen auseinanderentwickelt. „Die Gruppe mit höherer Bildung hat ihre Fahrradzeit seit 1996 verdoppelt.“ Dabei spiele auch eine Rolle, dass mit dem Fahrrad mittlerweile eine klare Botschaft verbunden sei. Bei einem Blind Date etwa könne man allein dadurch viel über sich aussagen, dass man mit dem Fahrrad komme – und nicht im dicken SUV, meint der Kölner Forscher.
Vor allem höher Gebildete nutzen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen häufig das Fahrrad. Stadtbewohner mit Abitur waren demzufolge im Jahr 2018 durchschnittlich 70 Minuten pro Woche mit dem Rad unterwegs, Stadtbewohner ohne Abitur dagegen nur 42 Minuten. Auf dem Land war der Unterschied demnach nicht so groß, doch auch dort nahmen Menschen mit höherem Bildungsgrad häufiger das Rad.
Wobei auch die Außenwirkung bei der Fahrzeugwahl eine wichtige Rolle spielt. Für Menschen mit niedrigerem Bildungsstatus sei ein Auto häufiger wichtig, um beruflichen Erfolg zu zeigen. Höher Gebildete liefen hingegen weniger Gefahr, als arm oder erfolglos wahrgenommen zu werden. „Wenn eine Professorin mit dem Fahrrad zur Uni kommt, denkt niemand ›Oh, die kann sich wohl kein Auto leisten.‹ Sondern man denkt: ›Cool, die ist umweltbewusst.‹, bringt es die Studie auf den Punkt und nennt den neuen Grünen Bundesminister Cem Özdemir als Beispiel, der mit dem Fahrrad zu seiner Vereidigung beim Bundespräsidenten vorgefahren war. „Jeder weiß, dass er S-Klasse fahren könnte“, sagte Hudde. „Es geht ihm aber um die Botschaft. Und die wird verstanden.“
Es Schorschla hat noch lange über diese Studie nachgedacht und dabei auch über die weißen und gelben Linien der angeblich zukunftsweisenden Verkehrsplanung in der Bamberger Innenstadt sinniert. Eine Sichtweise und ein Blickwinkel, welche bislang von der Wissenschaft sträflich vernachlässigt wird. Denn ganz ehrlich: Um diese Regelungen unfallfrei auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule mit zwei kleinen Kindern im E-Lastenfahrrad umsetzen zu können, braucht man neben viel Geschick am Lenker und an den Pedalen mindestens Abitur, wenn nicht sogar ein abgebrochenes Studium.
PS: Die Meinung vom Schorschla muss nicht immer mit der der Redaktion übereinstimmen.
st sicher